Pekingform und Peking-Stil – Made in Germany

Der Artikel berichtet über die Entstehung der Begriffe Peking-Stil und Pekingform. Dabei wird die Rolle beleuchtet, die einem großen Dachverband und dem „TAIJIQUAN & QIGONG JOURNAL“, bei deren Verbreitung, zukommt.

In der Ausgabe 3/2011 des JOURNAL erschien der Artikel „Peking-Stil – Eigenheiten und Varianten“ [1], wobei eine Vereinfachung des Taijiquan im Fokus stand. Hiebei kommt es zu verzerrenden Fehlern, die unser Verständnis für die chinesische Kultur neben der Sprachbarriere zusätzlich verschlüsseln. Gu Liu Xin 顧留馨 war ein wichtiger Protagonist, der im Artikel von 2011 totgeschwiegen wurde. Im Jahr 2016 erfolgte die Veröffentlichung seiner Tagebücher durch seinen Sohn Gu Yuan Zhuang 顧元庄 in Taipei. Dies brachte neues Wissen ans Licht, um die Geschichte vervollständigen zu können. Die Redaktion und der Autor des Artikels haben Kunstbegriffe aus englischsprachigen Quellen verwendet und im fortlaufenden Gebrauch zur Verbreitung verholfen. Das ist insofern skurril, da es diese Begriffe in der VR China überhaupt nicht gibt.


Pekingform und Peking-Stil sind erfundene Vehikel

Sie bauen ein Konstrukt auf, über das nur die Herausgeber selbst eine Deutungshoheit ersinnen. Der Leser bekommt dann gleich die eigene Fachkunde übermittelt: „Es handelt sich um vereinfachtes Taijiquan.“ Sucht man im englischsprachigen Internet findet man nicht nur die beiden Kunstbegriffe. Hier haben die Autoren wenigstens in einigen Quellen eine korrekte Namenszuordnung mit der Bezeichnung „Simplified Taijiquan“ vorgenommen. In Deutschland dagegen gibt es heute Pekingform- oder Peking-Stil – Lehrer, die gar nicht wissen, wie der wirkliche Name lautet. In China existieren folgende Bezeichnungen [2], die sich auf ein und dieselbe Form beziehen. Diese werden bis heute als Buchtitel geführt und sind dem Titel nach bereits selbsterklärend.

  1. « vereinfachtes Tai » Jian Tai 简太
  2. « vereinfachtes Taijiquan » Jian Hua Taijiquan  简化太极拳
  3. « Illustrationen zum vereinfachtes Taijiquan » Jian Hua Tai Ji Quan Tu Shuo 简化太极拳图说
  4. « Wie man das vereinfachte Taijiquan übt » Zen Me Lian Xi Jian Hua Taijiquan 怎样练习简化太极拳                                   
  5. « vereinfachtes Taijiquan in 24 Bildern » 24 Shi Jian Hua Taijiquan 24式简化太极拳

Der Autor des oben genannten Artikels und die Redaktion des Journales gehören daher zu jenen, welche diesem Umstand Vorschub leisten. Die wichtigste Falschaussage steht auf Seite 27:

„All diese Formen wurden unter dem Begriff »Peking-Stil« meisterneutral von der chinesischen Sportkommission bekannt gemacht.“


Falsche Aussagen über Li Tian Ji 李天骥

Li Tian Ji hatte ursprünglich Yang-Taijiquan gelernt. Er hatte eine Urfassung mit 24 Bildern als Vorlage bereitgestellt. Alledings wollte er damit sein eigenes Taijiquan mit Familiennamen Li in China popularisieren. Die Hauptaufgabe der « nationalen Sportkommission » Guo Jia Ti Wei 国家体委 war es, ein standardisiertes Taijiquan zusammenzufassen. Neue Familien-Stile dagegen interessierte niemanden. Die Li-Fraktion verweigerte jegliche Korrekturen, die von den Kollegen aus der Nationalen Sportkommission eingebracht wurden.

Li Tian Ji mit frühen Entwürfen und als Demonstrator für das « vereinfachte Taijiquan in 24 Bildern » Bildquelle: https://taichinotebook.com/wp-content/uploads/2021/03/litianji24.jpg?w=584

Die Nationale Sportkommission war auch das ausführende Instrument für Mao Ze Dong. Dieser sagte: „Die Kampfkünste sollen nur noch eine Vorführkunst und Gesundheitsübung sein“. Viele Mitglieder der Kommission waren selbst Kampfkünstler, die ihre Kunst liebten, und sollten sie nun unbrauchbar machen. Es folgt ein Auszug von Gu Liu Xin (Original-Übersetzung mit chinesischer Fassung), wie sich das « vereinfachte Taijiquan » entwickelt hat. Gu Liu Xin ist seit 1954 in der Nationalen Sportkommission in Shanghai tätig. Von hier sollte er die Arbeit von Tang Hao fortsetzen, das Taijiquan praktisch erforschen und alles zu EINEM STANDARD reduzieren. Gu leitete die « Sportpalast Ausbildungsstätten » Ti Yu Gong Ji Xun 体育宫集训. Es handelt sich um eine Ausbildungsstätte für zukünftige Taijiquan-Lehrer. Er selbst hatte schon lange Yang- und Wu-Taijiquan-Erfahrungen gesammelt und begann 1957 bei Chen Fa Ke bzw. Chen Zhao Kui das Chen-Taijiquan zu erlernen. Er kannte alle Oberhäupter der Taijiquan-Familien persönlich.


Geheimnisse der Taijiquan Geschichte von Gu Liu Xin 顾留馨 [3]

Gu hat bei der Entwicklung und Veröffentlichung des „Vereinfachten Taijiquan“ in China erheblich viel Energie investiert. Er war seinen Kollegen in dieser Zeit voraus. Gu verfügte auch über praktisches Wissen im Chen-Taijiquan und durfte die Forschungsergebnisse von Tang Hao verwenden. Die etablierten Vertreter anderer Taijiquan-Familien waren im Gegensatz zum Chen-Taijiquan in Teilen Chinas bereits Berühmt. Sie wollten ihr eigenes Familiennamen-Prestige in China ausbauen. Ihre veralteten Ursprungstheorien, die sich in der Republikzeit zwischen 1911 und 1949 verfestigt und verbreitet hatten, wollten sie nicht aufgeben.

Gu Liu Xin wurde durch interne Machtkämpfe und Interessenskonflikte mit dem Li-Klan in seinem Vorhaben sabotiert. Gu durfte in der Anfangszeit einige Editionen rund um das „Vereinfachte Taijiquan“ veröffentlichen. In seinen Tagebüchereinträgen [4] steht, dass er es zw. 1957 bis 1966 fast täglich geübt hat und nach Verbesserungen suchte.

Er veröffentlichte vier Publikationen unter verschiedenen Buchtiteln über das „Vereinfachte Taijiquan“.


Gu Liu Xins Veröffentlichungen über das „Vereinfachte Taijiquan“

  • November 1961 – 1. Ausgabe (60.000 Exemplare) « Vereinfachtes Taijiquan » Jian Hua Tai Ji Quan 《简化太极拳》
  • September 1962 – 2. Ausgabe (32.000 Exemplare) « Illustrationen zum vereinfachten Taijiquan » Jian Hua Tai Ji Quan Tu Shuo 《简化太极拳图说》
  • Oktober 1962 – überarbeitete 2. Auflage (23.000 Exemplare) « Illustrationen zum vereinfachten Taijiquan » Jian Hua Tai Ji Quan Tu Shuo 《简化太极拳图说》
  • Januar 1965 – 3. Ausgabe « Wie man das vereinfachte Taijiquan übt » Zen Me Lian Xi Jian Hua Taijiquan 《怎样练习简化太极拳》

Diese Ausgaben enthielten das « Seidenfaden Winden» Chan Si Jin 缠丝劲. Es gab die Ursprünge des Taijiquan aus dem Chen-Klan und den « Faustkampf Kanon » Quan Jing 拳经 von General Qi Ji Guang 戚继光. Für die damalige Zeit war es das beste und fortschrittlichste Material, das zur Verfügung stand.

1964 wurde in der Sportzeitung Ti Yu Bao Kan 体育报刊 der Artikel „Eine kurze Diskussion über die Frage der Seidenfaden windenden Kraft im Taijiquan“ 《略谈太极拳的缠丝劲问题》 veröffentlicht. Darin wurden die wesentlichen Informationen von Gu Liu Xins weitestgehend ignoriert. Gu Beschwerte sich mehrmals über die Intrigen von Li Tian Ji bei dem Sekretär der Nationalen Sportkommission, jedoch ohne Ergebnis. Seine letzte Empfehlung gegenüber dem Verlagshaus war die Publikation zukünftig einzustellen.


staatliche Interessen

Seine Vorgesetzten wollten und mussten entsprechend den Parteivorgaben eine Einheitsmeinung liefern. Vor allem wollte man die Dinge vereinfachen. Gus Tiefgang ließ das ganze Thema stattdessen komplex erscheinen. So wurde Gus lobenswerte Arbeit fallengelassen. Gu wollte es den Lernenden ermöglichen, das Wesen des Taijiquan verstehen zu können. Doch Taijiquan sollte keine Kampfkunst mehr sein. Es soll eine Vorführkunst oder eine „Blumen-Methode“ sein, wie sie General Qi Ji Guang in der Ming-Dynastie nannte. Seither lautet der Buchtitel « Vereinfachtes Taijiquan in 24 Bildern » Er Shi Si Shi Jian Hua Tai Ji Quan《24 式简化太极拳》. Darin sind nun nicht mehr enthalten:

1. Erläuterungen zu den Ursprüngen des Taijiquan

2. « Seidenfaden Winden », daher existieren auch keine Basisübungen

In den Veröffentlichungen von Gu fehlten bereits:

3. Es gibt kein einziges der 13 Grundprinzipien.

4. Die Form besteht aus einer 24 Bilder Choreografie. Die Erklärungen für eine korrekte und nachhaltige Körper-Methode oder zu einer Körperverbindung fehlen.


Quintessenz

Bei Peking-Stil, Pekingform oder « vereinfachte Taijiquan in 24 Bildern » handelt es sich um kein Taijiquan. Das sollte es auch nie sein. Es ist eine Auftragsarbeit der chinesischen Regierung. Es handelt sich um ein Missverständnis.

Dem Laien gaukelt man vor, dass man Taijiquan vereinfachen kann. Im Grundtenor appelliert Taijiquan an eine Natürlichkeit in der Bewegung. Ist die Bewegung natürlich, ist sie frei – dann ist sie auch einfach. Man will einfache Bewegungen durch « vereinfachtes Taijiquan in 24 Bildern » noch einfacher machen. Die Idee, alles dem Schein nach vereinfachen zu können, ist eine Illusion – ideal für bewegungsmüde Menschen in einem gewissen Komfortmodus. Für manche hat sich diese Idee in Deutschland bereits zu einem träumerisch-selbstverliebten Lehrer-Habitat entwickelt. Mehr gibt es nicht zu sagen.

21.11.2024, J. Weinbrecht




[1] Taijiquan & Qigong Journal, Ausgabe 3/2011, ISSN 1611-1702, Artikel „Peking-Stil – Eigenheiten und Varianten“, Seite 27, linke Spalte, letzter Absatz, Autor: Jan Leminsky

[2]https://baike.baidu.com/item/24%E5%BC%8F%E7%AE%80%E5%8C%96%E5%A4%AA%E6%9E%81%E6%8B%B3/7104683?fr=aladdin

[3] « Geheimnisse der Taijiquan Geschichte » Tai Ji Quan Shi Jie Mi 太极拳历解密, Gu Liu Xin 顧留馨 und Gu Yuan Zhuang 顧元庄, ISBN 978-986-6329-69-2 , Verlag: 2013.04 Taibei, „überlebte Kampfkunstkultur GmbH“ 台北市:逸文武術文化有限公司,Herausgeber: 劉康毅 Liu Kang Yi

[4] „Die Tagebücher von Gu Liu Xin(1957-1966)“ – Die Geheimnisse der Taijiquan Geschichte in zwei Bänden顾留馨日记 上(1957-1966)- 太极拳历解密二編, Tang Cai Liang 唐才良 und Gu Yuan Zhuang 顧元庄, ISBN 978-986-92375-2-9, Verlag: 2016.01 Taibei, „überlebte Kampfkunstkultur GmbH“ 台北市:逸文武術文化有限公司,Herausgeber: 劉康毅 Liu Kang Yi

Scroll to Top