Das Land 金刚 Jin Gang – in Koya-san

„金刚 Jin Gang“ weist viele Übersetzungsmöglichkeiten auf. Wortwörtlich meist „Diamanten-Unzerstörbar“. Darüber hinaus gibt es den klassischen Text das Diamant Sutra im Buddhismus. Im altindischen existierte bereits der Begriff als Donnerkeilstößel (Hindi: Viranja), wobei es sich um eine Waffe gehandelt hat. Es gibt indische, wie auch tibetische Gottheiten mit einem Viranja in der Hand. Ebenso findet man verschiedene Buddhas die mit einem Donnerkeilstößel in der Hand einherkommen. Vor allem die japanischen Interpretationen sind besonders furchteinflößend.


Japan, August 2018: Eine Reise nach 高野山 Kōya-san – dem „Hochebenen Gebirge“

Wer hierher pilgert besucht den buddhistischen 金剛峯寺 Kongōbu-ji – „Diamantgipfelnden Tempel“. Heute betrachtet man die gesamte Hochebene als einen Tempel. An höchster Stelle steht der Haupttempel Kongōbu-ji, während ihm über die gesamte Hochebene verteilt hunderte Nebentempel und Klosteranlagen unterstellt sind. Die Geschichte der buddhistischen Shingon-Schule begann 816 durch den Mönch Kōbō Daishi seinen Lauf zu nehmen. Von nun an wurden in mehreren Wellen die buddhistischen Schriften von China nach Japan eingeführt. So entstand hier ein bedeutendes Zentrum für den Buddhismus in Japan. Einst war die mystische Bergregion weit abgeschieden und schwer zu erreichen. Unter den unzähligen Mönchen die über die Jahrhunderte hierher kamen gab es Emeriten, ehemalige Samurai, verfolgte, ausgestoßene, verbannte des Adels und auch Kampfkünstler die hier untertauchten, um unter einer neuen Identität zu leben. Heute betreiben ca. 600 Mönche über 100 Nebentempel die es den Pilgern und Touristen gestatten in einem schönen historischen Ambiente zu verweilen.

Was man hier neben touristischen Albereien so findet

Nachdem ich in Japan das Kulturfestival der International Society of Chen Taijiquan (ISCT) in Tokyo besucht hatte wollte ich auf Reisen gehen. Dabei stellte sich die Frage wohin eigentlich? Meine Motivation hierher zu kommen hatte im Ansatz etwas mit dem Chen Taijiquan zu tun und der Neugierde auf die japanische Kultur, um sie besser mit der chinesischen Kultur vergleichen zu können. Als ich mit fragendem Blick über die Karte Japans streifte fiel mir auf das viele buddhistische Tempel im Namen mit den Schriftzeichen 金刚 Jin Gang einherkamen. Das weckte meine Neugierde um nach Koya-san zu reisen. Einige werden sich nun fragen was diese buddhistische Schule in Japan mit dem chinesischen Taijiquan zu tun hat? Und überhaupt wird nicht eigentlich das Taijiquan eher mit taoistischen Anschauungen in Zusammenhang gebracht?

Schaut man sich die Namen vieler Tempel in Koya-san an so taucht immer wieder der Ausdruck 金刚 Jin Gang auf. Dazu kommt das diese Tempelnamen meist aus einer Zeit von 700 bis 1000 her resultieren. Da der Buddhismus ursprünglich aus China ab dem 7. und 8. Jh. nach Japan kam kann man also davon ausgehen, dass es sich hier um eine Form von Konservierung handelt. Buddhistische Begriffe aus dem damaligen China wurden verwendet, welche in China heute nicht mehr stark verbreitet sind. Somit kann man daraus ableiten das die beiden Schriftzeichen 金刚 Jin Gang in der Zeit zw. dem 7. bis zum 10. Jh. in China allgemein verbreitet waren.

Die Verbindung zum Chen Taijiquan

In der heutigen Hauptform des Chen Taijiquan gibt es die Geste 金刚捣碓 Jin Gang Dao Dui die jeder kennt. Rechts hält man eine Faust, wobei die Faust auch sinnbildlich einen Viranja umschließt. Die Geste reicht weit zurück und ist auch im Shaolinboxen bekannt. Im Chen Taijiquan wird dies häufig als „Der unbezwingbarer Wächter Buddha stampft den Mörser“ übersetzt. Mein Übersetzungsvorschlag würde dafür lauten „Der Buddha schlägt mit seinen unzerstörbaren Donnerkeilstößel (Hindi: Viranja)“. Damit wird der eiserne Wille des Buddha zum Ausdruck gebracht der über alles erhaben ist.

金刚 Jin Gang existiert mehrmals in den Namen der alten Boxformen und Gesten. In Kampfkunstregistern von Chen Zi Ming (1935) und Chen Xin (1928) lautet eine alte Boxform 拿法破法金剛十八弓 Na Fa Po Fa Jin Gang Shi Ba Gong – „Die aufnehmende Methode, zerbrechende Methode und die unzerstörbaren 18 Bögen des Buddha“.

Allgemein bekannter dürfte unser Ausdruck in den alten Formen des Langfaustboxens sein, die sowohl innerhalb als auch außerhalb des Chen Klans existieren. Bei den Niederschriften von Chen Ji Shen (1843) wird die Form 拳經總歌 Quan Jing Zong Ge – „Das Hauptlied der klassischen Kampfkunst“ aufgelistet in der die Gestenbezeichnung 金剛搗錐 Jin Gang Dao Zhui – „Der Buddha schlägt mit seinen unzerstörbaren gelöcherten Donnerkeil“ genannt wird. Obwohl der Name der Form hier anders lautet gibt es bei Chen Zi Ming (1935) die gleiche Gestenreihenfolge (geringe Abweichungen) in der Form 一百單八 勢 Yi Bai Dan Ba Shi – „Die 108 Gestenform“.

Vajra

Vajrasattva Buddha
Tang Dynastie (618–907)









hält in beiden Händen
einen Vajra
Vajra (Hindi) = „Donnerkeil-Stößel“ = „Diamanten-Unzerstörbar“ = „金刚 Jin Gang“

- gleichzeitig wird dieses Attribut für den Buddhas benutzt -
Die Geste "Jin Gang Dao Dui" im Chen Taijiquan. Teil 1 Die Geste "Jin Gang Dao Dui" im Chen Taijiquan. Teil 2 Die Shaolin Form
"Xiao Hong Quan".
Ein Element ist Za Quan -
"die zerschmetternde Faust"
(ähnlich wie im Taijiquan)
Shaolin steht als

Inbegriff für Buddhas

Willensstärke.





Daher gibt es

hier ein

"Diamant-Faust

Boxen".

Erkenntnis

Das bedeutet, dass es im Chen Taijiquan auch bedeutende Bezüge zum Buddhismus gibt die sich bei den Vorläufern des Taijiquan bis in die Zeit der Tang Dynastie (618-907) zurückverfolgen lassen. Der Begriff 金刚 Jin Gang ist gleichzusetzen mit dem Begriff Vajra (Hindi) und steht symbolisch für die edle unzerstörbare Kraft des Buddha. Vajra ist auch eine Art Donnerkeilstößel der als Waffe aus dem alten Indien stammt. Interessanterweise gab es in Europa bereits altgriechische Skulpturen wie Zeus und Athene. Sie wurden mit einem ähnlichen Donnerkeil abgebildet. Ihnen wurden damit die Kräfte der Naturgewalten Blitz und Dorner als Waffe zugeschrieben. Möglicherweise hat vielleicht sogar der Indienfeldzug von Alexander der Große, um 326 v. Chr., den Donnerkeil nach Indien gebracht. Wenn man bedenkt das Alexander von einigen seiner unterlegen forderte ihn als Gott anzuerkennen, so liegt es nahe, dass er auch selbst als Gottheit abgebildet wurde. Ein typisches Utensil, wie der Donnerkeil des Zeus, in den Händen wäre dabei nicht verwunderlich.

Möglicherweise liegen die Hauptquellen bei der Entwicklung des Taijiquan im taoistischen Umfeld. Doch gibt es auch viele Ressourcen die sich aus buddhistischen Quellen speisen. Dabei spielt ebenso Shaolin eine wichtige Rolle. Nur darf man bei Shaolin nicht an einen oder mehrere Shaolinstile denken. Shaolin steht vorrangig für ein Sammelbecken von Kampfkünsten aus dem Volk und dem Militär. Hier wurden lange Zeit alte Überlieferungen erhalten und Konserviert bis es später natürlich auch zu eigenen Innovationen gekommen ist.

Ende der Ming-Dynastie war in ganz China die Dreierdoktrin akzeptiert und verbreitet. Sie besagt „Taoismus, Konfuzianismus und Buddhismus bilden eine Einheit“. Die Dreierdoktrin war ein Ergebnis der vielen Streitenden Schulen untereinander. Es hat viele Jahrhunderte gedauert bis sich dieses Konstrukt herauskristallisieren konnte. Wenn also heute jemand behauptet Taijiquan sei eine reine taoistische Schule, dann ist das eine eigensinnige und neuzeitliche Auslegung. Derartige Eigensinnigkeiten hatte die Evolution in China bereits um 1600 überwunden. Meine Vermutung ist, dass jene die das heute in China behaupten eine andere Motivation bewegt. Ich vermute, dass man mit dieser Form von Taoismus-Hype in China vor allem eine geschickt getarnte Opposition gegenüber der KP China betreibt, die nicht offen Attackiert werden kann ohne sich bei der Bevölkerung unbeliebt zu machen.

Zurück nach Japan

Das Koya-san Gebirge liegt in der Präfektur Wakayama, etwas südlich der Großstadt Osaka. In Osaka fährt man mit der U-Bahn bis zur Namba Station. Hier kauft man ein Ticket, um mit der JR-Wakayama-Linie von Wakayama aus bis zum Bahnhof 極楽橋 Gokuraku­bashi – „Paradiesbrücke“ zu kommen. In den 2,5 Stunden hat man genug Zeit, um aus dem Fenster zu schauen. Angekommen wechselt man in eine Standseilbahn, welche die Besucher über Kabelseile auf das Hochplateau windet. Verlässt man die Standseilbahn steht man auf einem Platz wo die Busse warten, um die Besucher zum Zentrum zu bringen. Ich gehe zu Fuß und laufe eine ruhigere Straße entlang. Nach fünf Minuten habe ich es geschafft, es herrscht schlagartig Ruhe. Der Wald ist wuchtig und spendet Schatten der mich vor der heißen Sonne schützt. So tapse ich in aller Ruhe weiter. Hinter mir kommt eine junge Frau die ich bereits im Zug gesehen hatte im Eilschritt hinter mir her. Sie heißt Alexandra, kommt aus der Ukraine und studiert in Frankreich Chemie plus, Praktikum in Japan. Mir gelingt es ihre Geschwindigkeit zu drosseln und so laufen wir den Weg gemeinsam und haben eine angenehme Unterhaltung. Nach 30min kommen wir im Ort Koya-san an und essen gemeinsam noch eine Nudelsuppe, bevor wir uns verabschieden.

Ich gehe ins Info Center der Schukubo Gesellschaft und buche zwei Nächte im 蓮華院 Rōtasuhausu – „Lotus Tempel“, welcher etwas abseits liegt. Im Zentrum sieht man, dass es der Gegend nicht an Touristen mangelt. Verstopfungen wie in Kyoto gibt es allerdings nicht. Das Areal ist groß genug, wo sich genügend buddhistische Tempel und Shinto-Schreine verteilen. Bevor ich im Lotus Tempel einchecken kann habe ich etwas Zeit und schaue mir viele kleinen Tempel mit ihren schönen Innengärten an. Der Ort liegt in ca. 800m Höhe und ist von Massivem Wald umgebenden. Gelegentlich findet man kräftige Bäume die locker 4m Stammumfang aufweisen. Weiterhin begegnen mir Libellen, große bunte Schmetterlinge und Echsen. Es gibt viele kleine und große Dinge an denen man sich nicht Sattsehen kann. Wer also das Gaffen liebt ist hier genau richtig.

Ort Koya-san

Das Personal im Lotus Tempel und einzelne Mönche sprechen Englisch. Im Tempel darf man sich nur mit Socken oder in Hausschuhen aufhalten. Die Tempelgärten dürfen nicht betreten werden. 17Uhr gibt es eine offene Meditation mit Mantra Gesang vor dem Abendessen, wo ein Mönch auch auf Englisch etwas zu den buddhistischen Orden erzählt. Allerdings klingt das Englisch stellenweise sehr japanisch, so dass nicht alles verstanden werden kann. Morgens gibt es 5:30Uhr eine weitere offene Meditationssitzung. Nach der Meditation bereiten die Mönche jeweils das Morgenmahl und die Abendmahlzeit in einem Gemeinschaftsraum vor. Inklusive der beiden Mahlzeiten bezahlt man dafür 75€, wobei es überraschenderweise noch ein Onsen Bad gibt das die Gäste ebenfalls benutzen dürfen. Die Preise sind nach Komfort in vier Stufen gestaffelt. Sie bewegen sich um die 65€, 75€, 100€ und 130€. Spricht man jedoch Japanisch und ist ersichtlich, dass man als echter Pilger unterwegs ist kann man auch direkt versuchen an die Tempel Tür zu klopfen. Für eine schlichte Übernachtung sollte es jedenfalls möglich sein auch eine sehr günstige Bleibe zu bekommen. In meiner Herberge war auffällig, dass sich die Leute nur Zeit für eine Übernachtung mitgebracht hatten, um danach schnell wieder in ihr Hamsterlaufrad zu verschwinden. Wie Schade doch so eine Grundeinstellung ist. Obwohl im Tempel eine sehr gute, strikte vegetarische Küche serviert wurde war es möglich sich gegen 600¥ Bares Bier oder Sake dazu reichen zu lassen. Vermutlich scheint das eine alte Tradition aus Samurai Zeiten zu sein. Was würde wohl passieren, wenn ein Kriegsherr sein Verlangen nach Alkohol nicht entsprochen würde? So war man wohl seit alters her bereits mit diesen Verfahren immer auf der sicheren Seite gewesen.

Rengejoin – Lotus Tempelherberge

Einer der Mönche zeigte mir das Tempeleigene Yukimura Sanada Museum. Der Samurai Yukimura Sanada war einer der bekanntesten Gäste vor 400 Jahren der hier im Lotus Tempel übernachtete. Nach einer großer Schlacht Ost- gegen West-Japan war er der Unterlegene und musste in der Verbannung nahe des Koya-san leben.

Museum – Samurai Yakimura Sanada

Am zweiten Tag war eine deutsche Reisegruppe mit Dolmetscherin anwesend. Es hat mich überrascht, dass meine Landsleute tatsächlich ihr Abendmahl ohne Alkohol über die Bühne brachten. Dazu kam, dass die Übersetzerin viele interessante Informationen beisteuerte von denen ich profitieren konnte. Am ersten Abend gab es ein leichtes Mahl mit Gemüsesorten, Tofu, Miso Suppe, Reis bis zum Abwinken und Grünen-Tee. Danach konnte ich in Ruhe noch ein kleines Taijiquan Training auf der Tempelterrasse absolvieren. Übrigens wird es hier im August schon gegen 17:30 Uhr dunkel und die Sonne geht gegen 5 Uhr auf. So war es Recht ruhig und nur einige Grillen oder Käfer waren zum Tagesausklang im Freien zu hören. Auch im Lotus Tempel gibt es einen Stein-Sandgarten. Hier war das Symbol des Ordens in den Hof gekämmt und von großen Bottichen mit Lotus Pflanzen Umgeben. So hatte man zu jeder Tageszeit ein schönes und eigensinniges Ambiente, dass durch das Tageslicht oder Hofbeleuchtung am Abend seine Charakteristik verleiht bekam. Vormittags gönnte ich mir ein zweites Frühstück mit Café und Kuchen in einem Tempel der veganen Sekten. Das war wiederum so gut, dass ich fast erlegen gewesen wäre meine Sightseeing Runde in dem Café fallen zu lassen. Doch dann rief tief in mir der Koya-san Buddha und hielt mich davon ab die bekannten Haupttempelanlagen auf dem Plateau zu ignorieren.

金剛峯寺 Kongōbu-ji – „Diamantgipfelnder Tempel“

Konpon Daoto – Große Hauptpagode“

Koya Shiro – Die große Klocke

Sanmaido Samadhi Halle

Fudodo Tempel

In der Summe war bei den heißen Temperaturen von 35°C das Fotografieren eine anstrengende Zumutung. Glücklicherweise traf ich mehrmals auf einen älteren Herrn mit seinem Enkel, so dass wir uns gegenseitig immer mit ein paar Fotos halfen und Witze machten. Anschließend half mir wieder eine Ramen Miso Suppe, um mich bei Laune zu Halten.

Am späten Nachmittag starte ich den Weg über den Friendhof-Pfad zum Okunoin Tempel. Dieser führt durch einen urigen Kiefernwald. Der gesamte Weg stellt einen riesigen Friedhof dar, welcher über den Verlauf der letzten Jahrhunderte entstanden ist. Links und rechts stehen kleine eingezäunte Pagoden, Skulpturen, Buddhas oder Shinto-Tore aus Stein. Einiges ist zerfallen oder neu errichtet worden. Manche Köpfe tragen Mützen die von grünen Mos durchwachsen sind. Eine schöne Idee der Leute, denn es passt gut in das Gefühl der Landschaft und unterstreicht die Mystik von Koya-san. Dazwischen beeindrucken immer wieder mächtige Bäume. Abends bin ich völlig platt, aber nehme trotzdem an der Meditation Teil. Auch diesmal rasselt der Mönch auf Englisch seine Erklärungen für die Besucher herunter. Mir wird klar das vermutlich immer die gleichen Passagen japanisch klingen und ich dadurch erst japanisch lernen müsste, um dieses Englisch doch noch vollständig verstehen zu können. Aber ich kann Schmunzeln, auch das ist wohl typisch japanisch.

Der Friedhof-Pfad zum Okunoin Tempel

Am Ende hat mir diese Region in Japan sehr gut gefallen. Die Ruhe ist bemerkenswert, obwohl gerade tagsüber viele Touristen an den Hauptattraktionen und im Ortskern unterwegs sind. Wer etwas mehr Zeit mitbringt und ein Shukubo in den abgelegenen Nebenstraßen bucht wird belohnt. Dann kann man auch noch auf den alten Pilgerpfaden etwas abseits einer Wanderung in Erwägung ziehen und wird bestimmt nicht enttäuscht.

J. Weinbrecht, vom 01.07.2021







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